Bosnien - Überraschende Entdeckung

18.08.2018

Wenn man nach fliegerischen Perlen sucht, dann denkt man wohl im ersten Moment nicht an Bosnien. Der „Jugoslawien“ Krieg, das lange belagerte Sarajevo und die sehr stark verminten Bergregionen lassen jetzt nicht gerade auf die besten Voraussetzungen zum Gleitschirmfliegen schliessen. Aber andererseits - eine fliegerisch unbekannte Region, die geradezu danach schreit, von uns entdeckt zu werden. Sarajevo hat sich zu einem bunten, extrem lebendigen Schmelztiegel verschiedener Kulturen und Religionen entwickelt; die Bosnier sind sehr gastfreundlich und speziell die kleine Handvoll Flieger die es gibt, freuen sich herzlich über einen Besuch. Da Sarajevo inmitten der Berge liegt, in welchen 1984 die Winterolympiade stattgefunden hat, bietet sich eine feine Auswahl verschiedener Gebiete direkt in Reichweite der Stadt an.

Eine bestens eingestellte Gruppe liess sich auf das Abenteuer ein und wurde nicht enttäuscht. Die Berge rund um Sarajevo konnten wir die ersten Tage bei perfekten Bedingungen abfliegen, mit Blick auf die Stadt auf der einen Seite und in die „wilden Schluchten“ des Balkan auf der anderen Seite. Die Region dort lockt mit dem „Charme“ des alten und teilweise heruntergekommenen Skigebiet-Style aus den Vorkriegszeiten in Kontrast zu den neu investierten und schicksten Cafés die man finden kann; nicht selten mit Blick auf eine zerschossene Fassade, die als „Mahnmal“ an vergangene Zeiten stehengelassen wurde.
Die Thermik scheint das alles wenig zu interessieren, so konnten wir von früh bis spät den ganzen Tagesgang nutzen, uns den jeweils richtigen Startplatz suchen und viele Stunden in der Luft verbringen. Durch den diesjährigen sehr feuchten Balkan-Sommer fanden wir extrem gemütliche und softe, aber gute Thermikbedingungen, welche eindeutig unter „schönem“ Fliegen einzuordnen waren. Der abendliche Gang durch die belebten Gassen von Sarajevo bildete jeden Tag einen schönen Kontrast zur Einsamkeit der Bergwelt.

Als die Luft in Sarajevo etwas labiler wurde, machten wir uns auf ins „Magic Valley“. Ein vergessenes Hochtal im kroatischen Teil des Landes, was wie für’s Gleitschirmfliegen geschaffen ist. Anscheinend hatte noch kaum jemand anders diese Idee, da wir bei perfekten Bedingungen völlig allein beim Fliegen waren. Eine Graskuppe zum Starten in praktisch jede Richtung, ein schöner und einfacher Einstieg in die Thermik, kaum Wind und ein grasiges Tal, welches praktisch nur aus Landeflächen besteht. Die einzigen “Hindernisse“ sind einige waldige Bergregionen, in welchen hier tatsächlich noch immer Minen schlummern.

Hier gab es markante Änderungen in der Flugtaktik. Stefan vollführte vorher noch wilde „Versuchsrouten“ welche meist mit einem Fussmarsch und Wiederstart irgendwo endeten; hier oben glänzte er mit Flugrouten nahe an der 3000er Marke und ohne zwischengelagerte Fussmärsche. Nika verblüffte die „Jugend“ mir ihrer Taktik, sich aus Pappel-Höhe mit Konstanz und Technik wieder an die bosnische Basis zu manövrieren und Sami wurde kurz mal aus seinen Träumen gerissen, als er bei gewissen „Sprengmanövern“ direkter „Luftgast“ war! Kathrin meldete verschiedene Basishöhen, da man teilweise perfekt an der Front der Wolke weiterdrehen konnte. Martin und Markus fanden für ihren 20 km Endanflug eine der vielen Konvergenzlinien, drehten keinen Kreis und blieben trotz Vollgas an der Basis kleben. So erkundeten alle in diverse Richtungen unser Tal. Meist endete der Ausflug nach einer 50 km Talrunde direkt wieder am Dorfrand, in welchem wir uns einquartiert hatten. Schöne Flüge und kurze Wege war das Motto.

Am dritten Tag planten wir unser Ziel 100 km Richtung Küste zu verlegen, um der erwarteten Labilität zu entkommen und den Abend noch zu schönem Soaren nutzen zu können. Der Plan war simpel und einfach; irgendwo zwischen 2500m und 3000m passte die Windrichtung perfekt um die Strecke in Angriff zu nehmen. Also hoch bleiben und den Weg über die faszinierenden topfebenen Täler „hinunterfliegen“, welche sich auf dem Weg Richtung Küste wie Stufen, durchzogen von langen Gebirgslinien, aneinanderreihen. Die ganze Gruppe machte sich geschlossen auf den Weg, nachdem die Basis am Startplatz von allen mit über 3000m gemeldet wurde; es gab einen weiteren schönen Flugtag für alle. Als wir mit den Bussen ebenfalls am Ziel waren, schwebten gerade Markus und Stefan ins Ziel und die Krönung erreichte Thomas, der mit 2000m „Überschuss“ an unserem Abendgebiet ankam. Nebenher waren das mit die weitesten Flüge, welche jemals in Bosnien gemacht wurden.

Den Abend konnten wir dann wie erwartet noch im Abendlicht abhängen und die Lokals erzählten uns mit strahlenden Augen, dass wäre heute ihr absoluter Rekord: Noch nie seien 15 Schirme gleichzeitig hier beim Fliegen gewesen. Und zwar nicht weil das Gelände keinen Platz hat, sondern weil sich einfach kaum jemand hierher verirrt!

Den Abschluss gab’s dann mit unserem Fahrer: DJ El Manjo legte noch vor dem roten Teppich in Sarajevo zum Filmfestival auf. Ein cooler Übergang vom verschwitzten T-Shirt auf die Bühne; aber das bleibt eine Insider-Geschichte…!

Eine wunderschöne, spannende und fliegerisch überaus perfekte Woche in Bosnien. Ein Dank an die bestens eingestellte Gruppe und die gute Stimmung. Wir freuen uns auf’s nächste Jahr, denn wir werden uns wieder dorthin verirren….

Text: Michael Gebert
Fotos: Kathrin Guldimann, Michael Gebert

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